Masking-Reihe: Anpassung

In einer Gesellschaft, die auf Anpassung und Konformität setzt, stehen viele Menschen – insbesondere solche, die neurodivergent sind – vor der Herausforderung, sich den Erwartungen anzupassen, selbst wenn dies bedeutet, ihre wahre Natur zu unterdrücken. Diese Strategie der Anpassung ist ein weit verbreitetes Phänomen, das sowohl bewusste als auch unbewusste Handlungen umfasst, um als "normal" wahrgenommen zu werden. Aber was genau bedeutet Anpassung, und welche Folgen hat sie für das Wohlbefinden und die Authentizität des Einzelnen?

Was bedeutet Anpassung?

Anpassung, im Kontext sozialer Interaktionen, ist der Prozess, bei dem Menschen ihr Verhalten, ihre Mimik, Gestik und manchmal sogar ihre Gedanken und Gefühle verändern, um den Erwartungen und Normen der Gesellschaft zu entsprechen. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei Menschen, die sich in einer Minderheit befinden – sei es aufgrund von neurodivergenten Merkmalen, kulturellen Unterschieden oder anderen individuellen Eigenschaften.

Ein zentraler Aspekt der Anpassung ist die Assimilation. Dies bedeutet, dass man sich aktiv bemüht, in die gesellschaftliche Norm zu passen, selbst wenn dies anstrengend oder unangenehm ist. Viele Betroffene berichten, dass sie sich in sozialen Situationen wie Schauspieler:innen fühlen, die eine Rolle spielen, anstatt sie selbst zu sein. Dieses Gefühl der Unauthentizität kann zu erheblichen inneren Konflikten führen, da das Bedürfnis, akzeptiert zu werden, mit dem Wunsch kollidiert, ehrlich zu sich selbst zu bleiben.


Die Auswirkungen der Anpassung

Die ständige Notwendigkeit, sich anzupassen, kann erhebliche psychische und emotionale Auswirkungen haben. Besonders für neurodivergente Menschen, wie Autist:innen, kann der Prozess der Anpassung äußerst ermüdend sein. Die dauerhafte Anpassung an soziale Erwartungen führt nicht selten zu einem Gefühl der Erschöpfung und Entfremdung. Es entsteht der Eindruck, nie wirklich man selbst sein zu dürfen, sondern ständig eine Fassade aufrechterhalten zu müssen.

Darüber hinaus kann die Anpassung auch das Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie sich verstellen müssen, um akzeptiert zu werden, kann dies zu Selbstzweifeln und einem verminderten Selbstbewusstsein führen. Die innere Überzeugung, nicht gut genug zu sein, wie man ist, wird durch den ständigen Anpassungsdruck verstärkt.


Anpassung als Überlebensstrategie

Trotz der negativen Auswirkungen ist die Anpassung oft eine notwendige Überlebensstrategie. In vielen gesellschaftlichen und beruflichen Kontexten gibt es wenig Raum für abweichendes Verhalten, was die Menschen dazu zwingt, sich anzupassen, um nicht ausgegrenzt zu werden. Besonders in sozialen Situationen greifen viele auf die Anpassung zurück, um unangenehme Fragen oder Kritik zu vermeiden. Dies kann sich in kleinen Handlungen äußern, wie zum Beispiel das Erlernen von Smalltalk oder das Übernehmen bestimmter Rollen in Gruppen, die es ermöglichen, sich zu integrieren, ohne allzu viel von sich preiszugeben.


Ein Balanceakt zwischen Anpassung und Authentizität

Anpassung kann zwar kurzfristig dazu beitragen, sich in sozialen Situationen sicherer zu fühlen, doch langfristig gesehen erfordert sie eine ständige Reflexion und einen bewussten Umgang mit den eigenen Bedürfnissen. Es ist wichtig, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass man nicht immer den Erwartungen anderer entsprechen muss und dass es in Ordnung ist, sich authentisch zu zeigen.

Ein gesunder Umgang mit Anpassung bedeutet, einen Mittelweg zu finden – sich in gewissen Situationen anzupassen, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Dies kann auch bedeuten, Grenzen zu setzen und sich Räume zu schaffen, in denen man ganz man selbst sein darf, ohne den Druck der Anpassung zu spüren.


Fazit

Die Strategie der Anpassung ist ein zweischneidiges Schwert: Sie kann helfen, sich in sozialen Strukturen zurechtzufinden, birgt aber auch die Gefahr, die eigene Authentizität zu verlieren. Für viele Menschen ist Anpassung eine notwendige Strategie, um sich in einer normativen Gesellschaft zu behaupten. Doch genauso wichtig ist es, Wege zu finden, die eigene Identität zu wahren und Räume zu schaffen, in denen Authentizität gelebt werden kann. Nur so kann ein gesundes Gleichgewicht zwischen Anpassung und Selbstakzeptanz erreicht werden.


Quellen:

Leaf, J. B., Creem, A. N., Bukszpan, A., Hickey, J., & Hillhouse, B. (2023). On the Status and Knowledge of Camouflaging, Masking, and Compensatory Behaviors in Autism Spectrum Disorder. Education and Training in Autism and Developmental Disabilities58(3), 283-298.

Evans, J. A., Krumrei-Mancuso, E. J., & Rouse, S. V. (2024). What you are hiding could be hurting you: Autistic masking in relation to mental health, interpersonal trauma, authenticity, and self-esteem. Autism in Adulthood6(2), 229-240.

https://neurodivergentinsights.com


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