Unsere Sinnessysteme – Was kann man tun, wenn es zu viele Reize sind?

Unsere Sinnessysteme arbeiten rund um die Uhr, um Informationen aus der Umgebung zu verarbeiten. Doch manchmal kommt es zu einer Reizüberflutung – ein Zustand, in dem das Gehirn mit zu vielen sensorischen Eindrücken konfrontiert wird. Das kann sich in Unruhe, Konzentrationsproblemen, Stress oder Meltdowns äußern​.

In den bisherigen Blogposts wurden die acht Sinnessysteme thematisiert und wie diese unsere Wahrnehmung beeinflussen. Dabei standen auch die Phänomene Hyper- und Hyposensibilität im Fokus. Doch was kann man konkret tun, wenn es zu viel wird? Wenn Geräusche, Licht, Berührungen oder andere Reize überwältigend sind?

In diesem Blogbeitrag zeigen wir mögliche Wege auf, wie wir unsere Sinnessysteme bei Hypersensibilität unterstützen und schützen können.


auf dem Bild ist ein Augapfel mit Lupe, Aktenkoffer und Hut zu sehen.

Sehsinn (visuell)

Helle oder flackernde Lichter, visuelle Unordnung oder zu viele Details können das Gehirn bei Hypersensibilität des Sehsinns überfordern. Wer sich durch visuelle Reize schnell erschöpft oder angespannt fühlt, kann versuchen Reize in der Umgebung zu reduzieren oder individuell passende Strategien und Unterstützungsmaßnahmen zu finden.

    • bewusst Pausen mit geschlossenen Augen/Fokussierung auf einen fixierten Punkt einlegen, Gesichtsmassagen

    • Bildschirmpausen einlegen sowie Farben & Helligkeit anpassen, Tageslicht

    • Sichtschutz wie Vorhänge, oder Trennwände einsetzen

    • Sitzposition im Raum abhängig von visuellen Eindrücken wählen (z.B. zur Wand gedrehter Tisch)

    • Sonnenbrillen, Blaulichtfilter-Brillen, Schirmkappen, …

    • Umgebungen nach Möglichkeit minimalistisch und organisiert gestalten

    • warme, gedimmte Beleuchtung und ruhige Farben, Tisch- oder Stehlampen

Eine Hand die an das Ohr gehalten wird, um besser hören zu können

Hörsinn (auditiv)

Laute Geräusche oder viele Töne gleichzeitig können bei einer Hypersensibilität des Hörsinns schnell überwältigend sein. Besonders konstante Hintergrundgeräusche oder plötzliche laute Klänge können ablenkend wirken oder Stress auslösen. Auch hier können gezielte Maßnahmen entlastend wirken.

    • alternative Geräuschquellen: individuell passende Musik oder andere Geräuschkulisse anhören

    • bewusst Erholungsphasen einplanen nach reizintensiveren Situationen (z.B. Musikhören nach längerem Gespräch)

    • geräuschreduzierende Kopfhörer/Ohrstöpsel

    • Schaffen von Ruhezonen

    • schallabsorbierende Hilfsmittel in der Umgebung nutzen wie Teppiche, Vorhänge oder Akustikpaneelen

    • Schlaf durch entspannte Musik oder weißes/braunes/… Rauschen unterstützen

    • Sitzposition im Raum abhängig von Lärmquellen wählen

eine Hand mit 5 ausgestreckten Fingern

Tastsinn (taktil)

Manche Menschen empfinden bestimmte Berührungen oder Materialien als unangenehm. Enge Kleidung, raue Stoffe, Knöpfe, Kopfbedeckungen oder wiederholte Berührungen bei lockerer Kleidung können Stress auslösen. Aber auch spontaner Körperkontakt mit anderen Menschen, das Berühren von bestimmten Körperstellen wie dem Kopf oder von bestimmten Texturen wie schleimigen Konsistenzen beim Backen kann zu starken Reaktionen führen. Ein bewusster Umgang mit taktilen Reizen kann helfen, sich wohler zu fühlen.

    • bei der Berührung unangenehmer Konsistenzen Handschuhe benutzen (verschiedene Stärken/Dicken verfügbar) oder andere Person darum bitten

    • Berührungspräferenzen anderen kommunizieren und passende Alternativen wählen (z.B. winken statt umarmen, Luftkuss statt Wangenkuss)

    • bewusst Erholungsphasen einplanen nach reizintensiveren Situationen (z.B. Entspannungstraining nach dem Abwasch machen)

    • Kleidung aus angenehmen Materialien wählen und individuelle Sensibilitäten bedenken (z.B. Knöpfe vermeiden, Kleideretiketten entfernen)

    • Sitzposition im Raum abhängig von potenziellen taktilen Reizen wählen (z.B. enge Tischkonstellationen in Restaurants vermeiden)

    • spezielle Haarbürsten und Leichtkämmsprays oder alternativ kurze Haare tragen

    • verschiedene Hals- und Kopfbedeckungen probieren oder darauf verzichten

    • verschiedene Texturen spielerisch und langsam erkunden, Wasseraktivitäten (können beruhigend und unterstützend wirken)

Ein offener Mund mit rausgestreckter Zunge

Geschmacksinn (gustatorisch)

Bestimmte Geschmäcker oder Konsistenzen können unangenehm sein. Manche Menschen haben Schwierigkeiten mit intensiven oder gemischten Aromen. Hier helfen gezielte Anpassungen der Mahlzeiten und bei besonders eingeschränktem Essensverhalten Geduld und Unterstützung bei selbstgewählten Zielen zur Steigerung des Essensrepertoirs.

    • „Safe Food“ neben neuen oder ungewohnten Essensangeboten (schrittweise Einführung neuer Lebensmittel/Gerichte)

    • Beachtung der individuellen Sensibilitäten (z.B. Textur, Intensivität)

    • bewusst Erholungsphasen einplanen nach reizintensiveren Situationen (z.B. ruhige Aktivität oder Entspannung nach neuen Gerichten)

    • entspannte und ruhige Atmosphäre, spielerischer Zugang

    • kleine Mengen zu Beginn, um Überforderungen zu vermeiden

    • mit verschiedenen Zubereitungsformen, Essorten (z.B. beim Tisch, am Boden, am Couchtisch) und -arten experimentieren (z.B. verschiedene Formen von Besteck oder mit Händen)

    • Variation in Temperatur und Geschmacksrichtung anbieten

ein kurzhaariges Kind wirft einen stinkenden Müllsack in eine Mülltonne. Um den Sack schwirren Fliegen.

Geruchssinn (olfaktorisch)

Intensive oder unerwartete Gerüche können überfordern. Besonders künstliche oder starke Düfte können bei Hypersensibilität des Geruchssinns Unwohlsein auslösen. Durch Gegenmaßnahmen und bewusste Duftgestaltung kann eine angenehmere Umgebung geschaffen werden.

    • angenehme und beruhigende Düfte nutzen

    • bewusst Erholungsphasen einplanen nach reizintensiveren Situationen (z.B. nach dem U-Bahnfahren tiefe Atemzüge an der frischen Luft nehmen)

    • Fenster öffnen, Lüftungen oder Luftreiniger nutzen

    • geruchsneutrale Waschmittel und Pflegeprodukte verwenden

    • Masken/Nasenclips verwenden oder eigene Kleidung vor die Nase halten

    • möglichst dezente/wenig störende Reinigungsmittel wählen

    • Sitzposition im Raum abhängig von Geruchsquellen wählen

    • Verlassen von Räumlichkeiten mit intensiven Gerüchen nach Möglichkeit

Ein Kind schaukelt auf einer Schaukel.

Gleichgewichtssinn (vestibulär)

Unser Gleichgewichtssinn hilft uns, unsere Balance zu halten und uns sicher zu bewegen. Eine Hypersensibilität in diesem Bereich kann dazu führen, dass schon kleinere Bewegungen Schwindel oder Unwohlsein auslösen. Menschen mit einer vestibulären Überempfindlichkeit können Schwierigkeiten mit schnellen Bewegungen, Höhen oder sogar Fahrten mit dem Auto oder der Bahn haben.

    • bewusst Erholungsphasen einplanen nach reizintensiveren Situationen (z.B. regelmäßige Raststopps bei längeren Autofahrten)

    • Fahrten in Autos, Bussen oder Bahnen bewusst planen (z.B. Platz ganz vorne, Blick auf fixen Punkt vorne richten, nicht lesen, Gewichtsdecke/-kuscheltier)

    • Fußstütze bei Sesseln/Toiletten, um die Füße zu spüren

    • langsame Gewöhnung an vestibuläre Reize & Überforderungen vermeiden

    • langsame und kontrollierte Bewegungen nach Möglichkeit

    • passende und sanfte Bewegungs- sowie Gleichgewichtsübungen

    • Tiefdruckaktivitäten können bei Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Übelkeit gezielt eingesetzt werden

Eine Ballerina tanzt in einem schwarzen Tutu

Propriozeption/Tiefensensibilität

Die Propriozeption hilft uns, die Position unseres Körpers im Raum wahrzunehmen, ohne hinsehen zu müssen. Eine Hypersensibilität in diesem Bereich kann dazu führen, dass Bewegungen und Berührungen als unangenehm oder überwältigend empfunden und daher oft vermieden werden. Auffallend können zudem eine steifere Körperhaltung und niedrige Schmerzgrenze sein.

    • bewusst Erholungsphasen einplanen nach reizintensiveren Situationen (z.B. regelmäßige Pausen beim Schreiben mit einem Stift)

    • grob- und feinmotorische Übungen/Spiele, sanfte Dehnübungen (z.B. Yoga)

    • kräftigende Aktivitäten zur Stärkung der Muskulatur

    • sanfte und gezielte Tiefendruckstimulation (z.B. durch Gewichtsdecken oder eng anliegende Kleidung – Achtung: oder Präferenz für weite Kleidung)

    • Vorbereitung auf oder Vermeidung von plötzlichen Bewegungen und Berührungen

Eine Zeichnung von einem Körper, bei der manche Organe wie das Gehirn und Herz eingezeichnet sind.

Interozeption (viszeral)

Die Interozeption beschreibt die Fähigkeit, körperliche Signale wie Hunger, Durst, Müdigkeit oder Schmerzen wahrzunehmen. Eine Hypersensibilität der Interozeption kann dazu führen, dass körperliche Empfindungen als überwältigend oder unangenehm erlebt werden. Dabei können überdeutlich Herzklopfen, Verdauungsprozesse oder Temperaturänderungen gespürt werden, was zu Stress oder Unruhe führen kann.

    • Achtsamkeitsübungen zur besseren Wahrnehmung und Regulierung körperlicher Signale

    • bewusst Pausen nehmen und sich selbst aktiv beobachten, um Stressreaktionen vorzubeugen (z.B. bei Angespanntheit überlegen, wann zuletzt gegessen/getrunken/… wurde)

    • Entspannungstechniken wie tiefe Bauchatmung oder progressive Muskelentspannung

    • locker sitzende Kleidung und angenehme Körperhaltungen/Sitzmöglichkeiten

    • Routinen bei Mahlzeiten, Flüssigkeitszufuhr, Schlafenszeit -> Etablierung eines Tagesplans

Fazit

Mit der richtigen Unterstützung können individuelle Strategien gefunden werden, um den Alltag mit Hypersensibilität angenehmer und entspannter zu gestalten. In diesem Blogbeitrag haben wir uns verschiedene Strategien für die acht Sinnessysteme bei Hypersensibilität angesehen – kleine Anpassungen, die helfen können, Reizüberflutung zu vermeiden und besser auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Welche davon in welcher Situation am besten passt, ist ganz individuell und lässt sich oft nur durch eigenes Ausprobieren herausfinden.

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Unsere Sinnessysteme – Was kann man tun, wenn es zu wenige Reize sind?

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Unsere Sinnessysteme - wenn Systeme unter- oder überfordert sind